Wo der Blaue Gott lebt
Die Pichvai-Kunst von Nathdwara, Rajasthan, stellt glorreiche Geschichten aus Lord Krishnas Leben dar und hat wegen ihrer Lebendigkeit der Kompositionen und thematischen Anpassungsfähigkeit im Lauf der Jahrhunderte überlebt
Wo sonst als in einem Pichvai- (Pichwai-) Bild findet man die perfekte Harmonie aus Schönheit und Hingabe? Die Pichvai-Malerei, gemeinhin als Pichvai bekannt, ist eine alte indische Kunstform, die aus Nathdwara, einer Kleinstadt in der Nähe von Udaipur in Rajasthan, stammt. Diese sehr komplexen, raffinierten, lebensgroßen Bilder wurden auf Stoff gemalt und erzählten Geschichten aus dem Leben von Lord Krishna, der auch als Blauer Gott bezeichnet wird. Traditionell hingen sie hinter dem Götzenbild von Srinathji (einer Darstellung des Lords als Siebenjährigem) im gleichnamigen Tempel in Nathdwara, um die Schönheit des Schreins zu betonen. Da die Gottheit als die kindliche Ausgabe von Lord Krishna angebetet wird, wird er mit größter Sorgfalt gepflegt, und genau dies wird durch Pichvai dargestellt.

Pooja Singhal, Gründerin von Pichvai Tradition & Beyond, einer Organisation, die sich für die Wiederbelebung dieser klassischen Kunstform einsetzt, meint: „Die Miniaturtradition der Pichvais hat eine lange Geschichte, die ihre Wurzeln im mittelalterlichen religiösen Vaishnava-Kult aus dem 16. Jahrhundert hat. Pichvai ist eine Kombination aus Pich (hinten) und Wai (hängend) und entwickelte sich als Teil eines größeren Ganzen aus komplexen Tempelrituale der Vallabhacharya (der Vaishnava Pushti-Marg-Sekte). Dort wurden ästhetische Praktiken mit spirituellem Tempelschmuck, göttlichen Ornamenten und großen Festen kombiniert.“

Exhibited at prestigious forums like the Kochi Biennale, India Art
Fair – Pichvais continue to survive and wow the art connoisseur
Als die Tradition der Pichvai-Malerei begann, durften nur fünf Künstler während Dincharya oder dem täglichen Ritual für einige Minuten das heilige Darshan von Srinathji besuchen. Jedes Darshan war ein kompliziertes Ritual, für welches die Kleidung durch die Sevaks (die teilnehmenden Gläubigen) gewechselt wurde. Diese Rituale wurden auf wunderschöne Weise in Bildern verewigt, mit Fokus auf der wundervollen Kleidung, üppig in hellen Farben, umrahmt von dunklen Bordüren und verziert mit echtem Goldschmuck. Dies wurde bald zu einer Kunstform, mit der nicht nur das Geschehen im Tempel gezeigt wurde, sondern die auch ein dekoratives Wandgötzenbild des Lebens der Gottheit darstellte.
Wussten Sie schon?
Im Lauf der Jahre war durch die doppelte Wirkung der verminderten Schirmherrschaft und der Nachfrage von Pilgern nach preiswerteren und daher minderwertigeren Bildern ein Niedergang der Kunstform zu verzeichnen. Es ist fast unmöglich, das raffinierte Design und das kreative Gleichgewicht zu kopieren, was ein Wahrzeichen authentischer Pichvai-Bilder ist. Ein weiterer Grund ist der Widerwille der jüngeren Künstlergeneration, sich der Disziplin und Strenge der Ausbildung zu unterwerfen, die notwendig ist, um ein Meister-Pichvai-Maler zu werden.

Singhal erklärt: „Zunächst wurden Pichvais mit großartigen geometrischen und floralen Mustern rund um die leere Fläche in der Mitte entworfen, vor welcher dann das Tempelgötzenbild platziert wurde. Im letzten Jahrhundert übernahmen die bemalten Textilien aus dem Schrein jedoch eine neue Aufgabe als Wandkunstwerke, die bei Kennern wegen ihrer überschäumenden Ästhetik sehr beliebt und bei Sammlern heißbegehrt waren.“ Abgesehen von Pichvais aus Nathdwara existieren auch die deccanischen, die – insbesondere die Kalamkari-Bilder – wesentlich seltener sind. Deccanische Pichvais wurden für wohlhabende Kaufleute aus Gujarat angefertigt, die sich in Hyderabad aus Handelsgründen niederließen und die Bilder für ihre persönlichen Schreine oder als Gaben für den Shrinathji Tempel in Auftrag gaben.

Auch wenn diese traditionelle Kunstform nicht mehr ausschließlich mit der Gottheit assoziiert wird, inspiriert und beeinflusst sie dennoch den heutigen Lebensstil. Pichvai-Arbeiten schmücken immer noch die Wände von Kunstkennern, von Menschen mit einer Affinität für die klassische indische Kunst und sogar von jüngeren Leuten – wenn auch mit zeitgenössischen Nuancen und Darstellungen, was die verwendeten Farben, die Komposition und gelegentlich die Srinathji-Merkmale angeht. Man findet auch vielseitigere Formate, die in kleinere Wohnungen, Nischen und Ecken passen, was diese Kunstform für neue Käufer zugänglicher und relevanter macht.Und es endet damit noch nicht. Indische Modedesigner arbeiten ebenfalls Pichvai-Elemente und -Motive in ihre Kreationen ein, wie beispielsweise Rohit Bal. Vor einigen Jahren arbeitete der berühmte Designer mit der Modemarke Good Earth zusammen und kreierte eine limitierte Kollektion aus Kleidungsstücken und Inneneinrichtungsgegenständen mit dem Titel Husn-e Taairaat, die von Lotusblüten, langschwänzigen Pfauen, Früchten, Flora und Fauna gekennzeichnet war – alles im Pichvai-Kunststil im Vintage-Look. Das Modehaus WeaveinIndia aus Chennai erstellte Kreationen, die von perlenbesetzten Pichvai-Bordüren und -Gartenmotiven inspiriert waren.Erfreulicherweise wird Pichvai überleben und die Kunstkenner begeistern, angefacht durch die Bemühungen der neuen Fürsprecher wie Singhal, die bei verschiedenen prestigeträchtigen Foren wie der Kochi Biennale und der India Art Fair und bei diversen Ausstellungen in Neu Delhi Pichvais ausstellte.
