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Ströme der Heiligkeit

Issue 06

Ströme der Heiligkeit

Perspektiven Indien |Autor

Issue 06


Seit Beginn der geschichtlichen Aufzeichnungen hält Indien seine Flüsse in Ehren, sowohl wegen deren Schönheit wie auch wegen ihres Segens. Sieben dieser Flüsse werden als Götter betrachtet, nicht wegen ihres hydrologischen Profils sondern wegen der heiligen und kulturellen Assoziationen, die sie wecken.

Ganges: Symbol der Reinheit
Der erste in der Liste ist die Göttin Ganga (der Ganges-Fluss). Seine Quelle in der Eishöhle von Gaumukh (Kuhmaul) im Himalaya in Uttarakhand muss wegen ihrer reinen ästhetischen Schönheit die inspirierendste dieses Planeten sein. Nicht einmal die mythologische Umgebung des Flusses kommt seiner erhabenen physikalischen Entstehung gleich. Er entspringt an dem Pilgerort Gangotri als Fluss Bhagirathi. Erst nach seinem Zusammentreffen mit dem Fluss Alakananda in Devprayag erhält er den Namen Ganges. Später taucht er flussabwärts bei Haridwar in die Ebenen hinab, wo sein Verlauf bis zum Meer vom Zusammenfluss bei Prayag in Allahabad in Uttar Pradesh gekennzeichnet ist. Hier kommt der Yamuna hinzu und symbolisch auch die dritte Gottheit Saraswati. Auch Varanasi wird vom Ganges gegrüßt. Der Hogli passiert Kalkutta in Westbengalen und hat das Privileg, der letzte Pilgerort auf der kleinen Insel Ganga Sagar zu sein, wo sich die Göttin nach 2.525 km mit der Bucht von Bengalen vereinigt.

Yamuna: Freigiebige Schönheit
Die Quelle der zweiten Göttin Yamuna, der jüngeren Schwester des Ganges, ist von den kochend heißen Quellen in Yamnotri gekennzeichnet. Er erhebt sich aus dem Schnee des Bander Poonch Massivs an der Grenze von Uttarakhand und Himachal Pradesh. Er fließt in der Nähe von Mussoorie in Uttarakhand vorbei. An seinem kurvenreichen Ufer erläutert ein Ashoka-Edikt die Werte der Gewaltlosigkeit. Die Göttin verlässt den Himalaya in Paonta Sahib, einem Sikh-Pilgerort aufgrund des Wohnorts des Sikh-Gurus Gobind Singh. Sein Wasser gibt dem Staat Haryana in Indien seinen Namen und bedeutet blendendes Grün. Sobald sich die Göttin Neu Delhi, der Hauptstadt Indiens, nähert, wird sie von urbanen Herausforderungen angegriffen. Nach der Hauptstadt fließt der Fluss an den Ghats in Mathura in Uttar Pradesh vorbei, wo sich die Jünger von Radha und Krishna versammeln. Er schlängelt sich um das traumhafte Profil des Taj Mahal in Agra in Uttar Pradesh herum, windet sich dann durch erodiertes Gelände, wo sich der Chambal mit ihm vereinigt. Schließlich wird der Yamuna vor dem glücklichen Zusammentreffen mit den Flüssen in Prayag 1.370 km nach seinem Ursprung durch die blauen Gewässer des Betwa erfrischt.

Godavari: Versprechen von Wohlstand
Godavari, Gangas ältere Schwester, ist kein Himalaya-Fluss. Sein Verlauf ist saisonabhängig. Er entwässert die niedrigeren Ebenen des Deccan Plateau, die außerhalb des Monsuns nur wenig bewässert werden. Seine Quelle liegt oberhalb der schwarzen Mesa-Formationen der nördlichen Sahyadri-Berge. Am Fuße dieser Berge befindet sich der heilige Trimbakeshwar Tempel in der Nähe der Stadt Nasik im Staat Maharashtra. Der Fluss fließt von Nasik in den Western Ghats 1.465 km quer durch fast die ganze Breite der Halbinsel, durchschneidet die Eastern Ghats und fließt nach Yanam, einem früheren kolonialen Außenposten von Puducherry in Andhra Pradesh. Die kleine Stadt Paithan in Maharashtra liegt an einer alten Handelsroute und ist berühmt für ihre schweren Seiden-Saris. Shirdi ist eine weitere kleine Stadt in der Nähe des Godavari, die zu einem Pilgerort geworden ist. Flussabwärts liegt das guterhaltene Gurudwara in Nander, wo der Sikh-Guru Gobind Singh verstarb. Nachdem der Fluss von Maharashtra südostwärts nach Andhra Pradesh fließt, wird er vom Fluss Manjra aus dem Süden und Pranhita und Indrawati aus den Stammesdistrikten im Norden ergänzt. Die Göttin macht am Bhadrachalam Tempel in Andhra Pradesh eine scharfe Kurve, bevor sie die Eastern Ghats spaltet. Dann fließt sie in einem breiten Fluss südwärts zur landwirtschaftlichen Stadt Rajahmundry in Andhra Pradesh, wo das fruchtbare Delta beginnt. Hier erhält sie am Draksharama Tempel den letzten Segen, bevor sie über Yanam in die Bucht von Bengalen fließt.

Narmada: Vielversprechende Schönheit
Narmada, Tochter von Lord Shiva, ist für viele der schönste. Seine Quelle liegt in Amarkantak inmitten der grünen Maikala Berge des östlichen Madhya Pradesh. Dann passiert er Stammesgebiet voller Bambus und reich an Eisenerz. Bei der mittelalterlichen Festung Mandla in Madhya Pradesh verbreitert er sich. Die ehemalige Herrscherdynastie dieses Gebiets ist die letzte, die dem Mughal-Vordringen Widerstand leistete. In der Nähe von Jabalpur in Madhya Pradesh befinden sich die Dhuandar Wasserfälle in der legendenumwobenen Marmorschlucht. Die vielen Marmortöne sollen Glück bringen beim Schnitzen von Tempelbildern. In Narmadas Flussbett findet man auch große weiche Basalt-Lingams. In Jabalpur soll das Snooker-Spiel erfunden worden sein; zu Kolonialzeiten soll es hier das erste Mal gespielt worden sein. Omkareshwar ist eine hübsche Insel mit einem alten Jyotirlinga Tempel. Im Kontrast dazu folgen auf diesen Pilgerort flussabwärts die fürstlichen Bade-Ghats in Maheshwar. Diese wurden von der verwitweten Holkar-Königin Ahalya Bai aus dem Maratha-beherrschten Malwa-Königreich errichtet, die sich im Angesicht der Bigotterie mutig für ihre Familie einsetzte. Im weiteren Verlauf wird der Fluss in die Form des Sardar Sarovar gepresst, einer Gewichtsstaumauer in der Nähe von Navagam in Gujarat. Schließlich fließt er in dem Flussstädtchen Bharuch in Gujarat in das Arabische Meer.

Saraswati: Lebendig in der Folklore
Der heilige Fluss Saraswati ist die Hindu-Göttin des Lernens. Der Saraswati ist schön anzuschauen, hält das alte Saiteninstrument Veena in der Hand und sitzt auf einem Schwan. In den alten Schriften war Saraswati ein breiter Fluss, der das bewässerte, was heute die Rajasthan-Wüste ist. Er wurde in den 1930er Jahren in den Überresten der Harappan-Zivilisation unter dem Sand entdeckt. Anhand von Satellitenbildern kann der Verlauf des ausgetrockneten Flusses immer noch nachvollzogen werden, und in der Hindu-Folklore ist der Saraswati immer noch sehr lebendig. Vor kurzem wurde in Ad Badri in den Shivalik-Hügels von Haryana die Quelle eines kleinen Flusses, bekannt als Sarsutti, zum Pilgerzentrum ausgebaut. Sowohl in Kurukshetra in Haryana wie auch in Pushkar in Rajasthan gibt es Seen, die mit diesem verlorenen heiligen Fluss in Verbindung gebracht werden und an denen sich an schönen Badetagen riesige Pilgermengen versammeln. Man nimmt an, dass der Saraswati in Gujarat in den Rann of Kutch floss und dann in das Arabische Meer.

Indus: Groß und mächtig
Der Indus gab Indien seine Namen – Ausländer kennen es als Land, das „außerhalb des Indus“ liegt. Der Indus (oder Sindhu) ist auch bekannt als Lion River und ist der größte Fluss des Subkontinents, 3.200 km lang von den gewöhnlichen Quellen in Tibet nördlich des Mount Kailash. Der Flussverlauf wird von den Jahreszeiten bestimmt – er verkleinert sich im Winter und überflutet seine Ufer zwischen Juli und September. Dieser mächtige Fluss begrenzt die westlichen Ausläufer der Great Himalaya Berge und die turmähnlichen Höhen des Naga Parbat Massivs dort, wo er scharf abbiegt, um die Berge zu überholen, was alle verblüfft. Ab der Grenze Tibets fließt er nordostwärts durch Leh, vorbei an der riesigen und faszinierenden Lehmfestung. In Nyemo vereinigt sich der Zanskar River mit dem Indus zu dem vielleicht erhabensten Zusammenfluss des Himalayas. Der Fluss wird flussabwärts in der pakistanischen Provinz Sind von Fischern angebetet, wo der seichte und träge Indus das Arabische Meer erreicht.

Kaveri: Hüter des kulturellen Reichtums
Die Göttin Kaveri mag die kürzeste sein (765 km), aber sie ist die Hüterin der funkelndsten Palette des kulturellen Reichtums Indiens. Die Göttin ist als „Ganga des Südens“ bekannt und trägt auf Abbildungen einen roten Seiden-Sari und einen Kupfer-Wassertopf, mit dem sie ihren Segen verteilt. Der Kaveri (oder Cauvery) erhebt sich aus den Bergen von Coorg im Karnataka-Teil der Western Ghats oberhalb des Tempels Bhagamandalam. Die Quelle ist als Talakaveri bekannt und es wurde ein kleines Becken gebaut, um den Überfluss aus der heiligen Quelle aufzufangen. Von den waldigen Hügeln von Coorg fließt der Fluss zur Grenze von Mysore und dann an Srirangapatnam in Karnataka vorbei, wo Tipu Sultan seinen Palast hatte. Am Ufer des Kaveri in Talakad in der Nähe von Mysore in Karnataka erblickt man einen sonderbaren mittelalterlichen Tempel, der vom Sand verweht wurde. An den spektakulären Shivanasamundra Wasserfällen und dann wieder bei den dramatischen Hogenakkal Wasserfällen in der Nähe der Grenze zu Tamil Nadu zeigt sich die Göttin in königlicher Stimmung. Wenn sie sich der Deltagegend nähert, präsentiert die Göttin einige künstlerische, architektonische und musikalische Wunder: Trichys Festung, die Präsentation religiöser Tyagaraj-Lieder in Thiuravaiyaru in den Thanjavur-Distrikten in Tamil Nadu, Sriramgams großes göttliches Anwesen, die exquisiten Bronzedarstellungen von Cholan-Figuren und Thanjavurs turmhohe Tempel sind einige der existierenden Schätze der Delta-Region. Der sichtbare Kaveri-Kanal fließt in der Nähe der Küste in Poompahar in Tamil Nadu, bei römischen Händlern als Kaveri Emporium bekannt, in die Bucht von Bengalen.

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