Mode

Der Zauber des Webstuhls

Heft 04, 2021

Der Zauber des Webstuhls

Priya Rana |Autor

Heft 04, 2021


Vom antiken Ikat bis zum königlichen Patola, vom Jamdani über Banarasi-Brokat bis zu verziertem Gyaser und Pashmina aus Kaschmir – wir stellen einige der berühmtesten handgewebten und handgesponnenen Weberzeugnisse vor, die mit kunsthandwerklichem Flair einzigartige und opulente Stoffe ergeben

Handgewebte Stoffe sind das Herzstück Indiens und werden traditionell seit Jahrtausenden im Land hergestellt. Indien gehört zu den wenigen Ländern, in denen das Weben und Spinnen noch florieren. In seiner jüngsten ‚Mann ki Baat‘-Ansprache an die Nation erwähnte der indische Premierminister Narendra Modi den National Handloom Day (der am 7. August gefeiert wird) und ermutigte die Bürger, das kunsthandwerkliche Weben und damit auch die Vision „Vocal for Local“ zu unterstützen. Von Khadi, das seine Wurzeln in der Unabhängigkeitsbewegung hat, als Mahatma Gandhi die Inder ermutigte, mit einer Charkha (einem Spinnrad) zuhause Garn zu spinnen, bis hin zu den Zentren der Weber in ganz Indien, die einheimischen Stoff spinnen und weben, sei es nun Ikat, Bandhni, Patola, Banarasi-Brokat, Zari, Apatani oder Pashmina: handgewebte Stoffe sind tief in Indien verwurzelt. Bis zum Auftauchen des mechanischen Webstuhls im 18. Jahrhundert im Westen waren handgewebte Stoffe wie Khadi omnipräsent. In der Folge wurden unsere Märkte mit maschinell erzeugten Stoffen überschwemmt und unsere eigene Industrie wurde geschwächt. Aufgrund von Regierungsinitiativen wie dem World Handloom Day und vielen anderen sind wir uns heute jedoch wieder der Bedeutung der verschiedenen Handwebstuhltypen bewusst, und auch Designer und Kunden würdigen das Kunsthandwerk mit jedem hergestellten Outfit oder Sari und jedem gekauften Stoff.

Khadi

Khadi, das bescheidene, aber mächtige Symbol des indischen Freiheitskampfs, muss von der Khadi Village Industries Commission (KVIC) zertifiziert sein, um diese Bezeichnung tragen zu dürfen – und der Stoff muss handgesponnen und handgewebt sein. Der Stoff wird meist in von der KVIC zugelassenen und unterstützten Institutionen gewebt, wo die Regierung den auf dem Land lebenden Webern eine Beschäftigung bietet. Diese Institutionen verteilen sich über das gesamte Land, von Bengalen über Uttar Pradesh bis Madhya Pradesh, und der Stoff kann in ganz Indien in Khadi Gram Udyog Outlets erworben werden. Heutzutage experimentieren Designer mit Khadi – von treuen Anhängern wie Rajesh Pratap Singh, der seit mehr als zehn Jahren Kleidung aus Khadi entwirft, bis hin zu jüngeren Labels wie Anavila, die mit den hellen Tönen des Khadi aus Bengalen experimentieren und diesen mit Naturfarben wie Kurkuma und Indigo einfärben.

Ikat

Ikat ist ein geheimnisumwobener Stoff, denn es wurde eine ägyptische Mumie gefunden, die mit einem Odisha-Ikat bedeckt war – Beweis für die Handelsrouten zwischen den beiden antiken Kulturen. Hinweise auf Ikat fand man auch auf Wandbildern in den Ajanta-Höhlen aus dem Jahr 200 v. Chr. Ikat ist im Gegensatz zu vielen anderen Schnurbatik-Methoden einzigartig, denn hier wird zuerst das Garn gefärbt (indem man Garnbündel fest zusammenschnürt und in einem beliebigen Muster färbt) und im Anschluss daran ordnet der Weber das Garn auf dem Webstuhl an, um ein Muster zu erstellen – ein sehr aufwändiger, komplexer Vorgang. Es gibt Kettfaden-Ikat, Durchschuss-Ikat und Doppel-Ikat, der sehr raffiniert ist. Ikat wird in Odisha, Gujarat und Andhra Pradesh hergestellt. Erfahrene Designerinnen wie Madhu Jain beschäftigen sich mit Ikat und erschaffen museumstaugliche Stücke aus Bambusseide im Ikat-Stil aus Indonesien, Usbekistan und Indien. Jain ist eine vehemente Unterstützerin nachhaltiger Stoffe und eines nachhaltigen Lebensstils, und diese neuen Textilien verbrauchen keine Ressourcen und bieten Bambusbauern ein Einkommen, ganz abgesehen von ihrer biologischen Abbaubarkeit. Inspiriert vom Land des Babur, Usbekistan, wo dies ein königlicher Stoff war, haben erfahrene Kunsthandwerker wie Asif Shaikh (Gründer der CDS Art Foundation), die von den großen, kühnen Mustern fasziniert waren (die indischen Ikat-Motive sind kleiner), ihre Versionen des Ikat mit Miniaturmotiven ergänzt, die von Hand auf den Stoff gestickt werden.

Eine Gruppe Weberinnen stellt in Bargarh, Odisha, einen Sambalpuri-Ikat-Stoff her. Zu Odishas reicher Webtradition gehören die Stammes-Bomkai- und die gestreiften oder karierten Santhali-Saris. Das bemerkenswerteste Produkt ist jedoch der aus Seide oder Baumwolle gewebte durchschuss-resistente Sambalpuri

Einer der üppigsten indischen Ikat-Stoffe – die einst von Königen und Adligen getragen wurden – stammt aus dem Bundesstaat Gujarat: Patola. Patola ist bekannt für seine lebhaften Farben und geometrischen Muster, unterbrochen durch Folklore-Motive, und man sagt, dass ein Patola-Sari 300 Jahre alt werden kann und immer noch seine ursprüngliche Farbe behält! Ein Paan-Patola ist ein doppelter Ikat-Stoff aus der nördlichen Gujarat-Region Patan und ein unbezahlbares Erbstück, dass von einer Generation an die nächste weitergegeben wird. Jeder Teil des bunten (gefärbten) Garns wird sorgfältig angeordnet, um beim Weben das gewünschte Muster zu erzeugen. Bei dieser Patola-Herstellung werden sowohl Kettfaden wie auch Durchschuss gefärbt. Zum Färben werden Naturfarben wie Krappwurzel, Indigo und Kurkuma verwendet und die Muster sehen auf beiden Seiten identisch aus. Vor kurzem entwarf das Modelabel Asha Gautam aus Neu Delhi einen phänomenalen Patola-Sari für die Schauspielerin Uryashi Rautela, dessen Herstellung sechs Monate in Anspruch nahm, wobei das Färben des Garns mehr als 70 Tage und das Weben 25 Tage dauerte und 600 Gramm Seide verbraucht wurden.

Banarasi-Brokat

Pilikothi in Varanasi ist das Zentrum des weltberühmten Banarasi-Brokats, der raffinierte Zari-Motive enthält, die von Hand auf Seide gewebt werden, wodurch die feinsten Saris entstehen, wie sie typischerweise am Hochzeitstag von der Braut getragen werden. Die Designer Swati und Sunaina aus Kolkata, die alte Textilverfahren neu entdecken, sind für ihre zart gewebten Saris bekannt, die auf einer Seite aus Seide und auf der anderen aus purem Zari bestehen, mit einem Brokatsaum, der Hashiya-Miniaturbilder darstellt. Das Weben eines Saris dauert rund acht Monate und kostet circa 200.000 INR. Der verzierte Gyaser-Stoff (der traditionell für die schweren Roben der buddhistischen Mönche in den Klöstern in Tibet und Lhasa hergestellt wird) kam durch Händler von China nach Varanasi. Der orientalische Einfluss ist auch in den heutigen Banarasi-Saris noch zu sehen.Shanti Banares aus Varanasi ist eine Modemarke in dritter Generation, die sich auf Banarasi-Stoffe spezialisiert und von Amrit und Priyanka Shah geleitet wird. In einer ihrer jüngsten Kollektionen haben sie persische Stoffe verwendet, um Vogelmotive zu erschaffen – ungewöhnlich für Banarasi-Saris, für die Zari mit antiker Oberfläche eingesetzt wird. „Normalerweise stellt der Weber ein Jacquard her (ein Muster, das in einem bestimmten Verhältnis von Unter- und Oberfäden gewoben wird), das auf den Webstuhl kommt“, erklärt Amrit Shah. „Wenn es jedoch kein Jacquard gibt, nimmt der Weber ein Motiv und webt darauf wie auf einer Zeichnung – eine Technik, die Uchyant heißt und bei der jedes Motiv separat gewoben wird.“ Einige der raffiniertesten Saris werden mit Jamdani erstellt (eine Technik, bei der das leichteste Garn oder Zari verwendet wird, um Motive separat auf die Seide zu weben). Eine weitere Spezialität ist Jangla Jaal, ein Banarasi-Brokatmuster aus zarten Weinreben, die mit Zari auf einen reinen Seiden-Sari gewoben werden. Mit einem derartigen Sari sind vier bis acht Weber zwei bis vier Monate lang beschäftigt.

Ein moderner Banarasi-Stoff

Apatani-Stoff

Dieser Stoff dominiert auch heute noch jedes Zuhause in der Apatani-Gemeinschaft in Arunachal Pradesh (und Teilen von Nagaland), auch wenn die Anzahl der Familien, die dieses Handwerk praktizieren, bedauerlicherweise zurückgeht. In einem minimalistischen, farbenfrohen geometrischen Zick-Zack-Muster, normalerweise in den Farben Schwarz, Rot, Weiß und Gelb, werden auf einem Bambusrohrgestell ästhetische Schals und andere Stoffe erzeugt. Da sich viele junge Leute von der Weberei abwenden, ist es an der Zeit, ihr Interesse wieder zu wecken, indem ein Markt für diese wunderschönen Stoffe in Form von Schals, Überwürfen und sogar Jacken geschaffen wird.

Pashmina

Als nächstes reisen wir in das malerische, winterliche Kaschmir, in dem das warme und komfortable Pashmina hergestellt wird. Ein 100 %iger Pashmina-Stoff muss aus 100% Kaschmir hergestellt sein, um als hochwertig zu gelten, und erhält nur dann die GE- (Geographical Indication-)Zertifizierung, wenn er aus Pashminawolle aus Ladakh handgesponnen und handgewebt ist. „Die Wolle für unseren Pashmina stammt von Ziegen aus der Region Chand Khand in Ladakh“, erklärt Tariq Ahmad Dar, der früher Model war und sein eigenes Luxus-Pashmina-Label Pashmkaar führt. Das Garn wird von Kunsthandwerkerinnen aus Srinagar von Hand gesponnen (eine Frau braucht eine Woche für die Garnherstellung aus 10 Gramm Wolle). Nachdem es zu einem Schal oder einer Stola gewoben wurde, wird es gefärbt oder bestickt (das Besticken eines 2 Meter langen Schals dauert 15 Tage). Dar beschäftigt 250 Personen (darunter 40 Frauen alleine für das Spinnen des Garns) und verwendet frische, helle Farben für seine Pashmina-Stolen, die ein Modeaccessoire für den Herrn sind. Er nutzt seine Auslandsreisen und Inspirationen, um modische Stücke für den Mann von heute zu entwerfen. Das Besticken einiger Stücke für Frauen in seiner Shah Bano-Linie nimmt drei Jahre in Anspruch, und die Preise können sich zwischen 12.500 und 100.000 INR bewegen. Das Entwerfen und Weben eines schönen Musters direkt auf den Pashmina nennt sich Kani – gewoben mit kleinen, augenlosen Holzstäben. Hierbei handelt es sich um den teuersten Pashmina von allen, der seine eigene GI-Zertifizierung hat und in einem sehr arbeitsintensiven, fast schon spirituellen Prozess faszinierende Mughal-Motive (zumeist Blumen) erhält (an einem Tag können lediglich 3-4 Zentimeter erstellt werden). „Pashmina war die erste wirtschaftliche Revolution in Kaschmir, insbesondere für Frauen“, meint Dar und fügt hinzu, „meine Großmutter spann Garn auf einer Charkha und auch heute noch kann das Garn nicht ohne Frauen hergestellt werden.“

Die oben erwähnten sind lediglich einige der Handweb-Textiltraditionen, die in Indien praktiziert werden. Es gibt noch viele weitere, die in verschiedenen Teilen des Landes florieren. Mit Unterstützung der Regierung arbeiten Designer und Menschen, die alte Textilverfahren neu entdecken, daran, diese Stoffe wieder beliebter zu machen. Die Förderung der ‚India Handloom Brand‘, das kulturdiplomatische Engagement und die Unterstützung des einheimischen Kunsthandwerks sind wichtige Schritte, die zur Förderung dieser Branche unternommen werden müssen. Ebenfalls wirksam für die Förderung des Handwebens und Kunsthandwerks sind Regierungsprogramme wie „Make in India“ und „Vocal for Local“. Weitere Bottom-Up-Ansätze sind das Mudra-Programm zur Unterstützung von Unternehmerinnen, die National Rural Livelihoods Mission und die Mobilisierung von SHGs. Die wichtigste Unterstützung für die Wiederbelebung dieser Stoffe besteht jedoch darin, sie zu kaufen und zu tragen.

Priya Rana

Priya Rana ist ein bekannter Name in der Modebranche. Sie ist eine der führenden Modeschriftstellerinnen, die maßgebliche Publikationen in Indien herausgebracht hat. Rana ist Executive Editor bei Outlook Splurge. Sie hat auch als Redakteurin von India Deluxe Life und als Chefredakteurin von Harper's Bazaar gearbeitet. Sie war auch als Managing Editor bei Oxford University Press tätig.
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