Fortschritt

Indiens Streben nach nachhaltiger Energiesicherheit

Heft 04, 2021

Indiens Streben nach nachhaltiger Energiesicherheit

Ajay Shankar |Autor

Heft 04, 2021


Indien verfolgt das doppelte Ziel des schnellen Wirtschaftswachstums und des Übergangs weg von fossilen Brennstoffen bei zunehmender Energiesicherheit. Mit seinen investitionsfreundlichen und proaktiven Maßnahmen für grüne Energie ist Indien auf der Erfolgsspur

Indien ist die Heimat von ungefähr einem Sechstel der Weltbevölkerung. Zwar ist es eine uralte Zivilisation, aber dennoch eine junge Nation mit ehrgeizigen Entwicklungszielen, wobei Energie im Zentrum dieser Entwicklung steht. Indien ist mit fast 1,4 Milliarden Barrel jährlichen Importen der drittgrößte Verbraucher und Importeur von Erdölprodukten. Indiens Energiebedarf ist nicht nur für das Land von Bedeutung, sondern beeinflusst die ganze Welt. Es wird angenommen, dass Indien für einen großen Teil des zusätzlichen weltweiten Energiebedarfs in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten verantwortlich sein wird.

Energie und Entwicklung

Da der Zugang zu sauberer Energie eines der wichtigsten Nachhaltigkeitsziele (SDG) ist, hat Indien vor kurzem die Mammutaufgabe geschafft, alle Haushalte mit Elektrizität zu versorgen – etwas, das die Internationale Energieagentur (IEA) als „historisch nie dagewesene Leistung“ beschrieben hat, die das Leben von mehr als 500 Millionen Menschen in rund fünf Jahren zum Besseren verändert hat. Mittlerweile werden der ländlichen Bevölkerung, die das Essen traditionell mithilfe von Biomasse zubereitet hat, zunehmend sauberes Gas, Zylinder und Öfen zum Kochen zur Verfügung gestellt. Im Rahmen des 2016 gestarteten Programms mit dem Titel Pradhan Mantri Ujjwala Yojana (PMUY) wurden bereits 290 Millionen Haushalte angeschlossen und für 100 Millionen Haushalte wurden Vorbereitungen für einen Anschluss in den nächsten beiden Jahren getroffen, sodass das Programm damit fast abgeschlossen ist.

Eine riesige Baustelle in Saint-Paul-les-Durance, Frankreich, auf der verschiedene Länder gemeinsam eine „Sonne auf der Erde“ im Miniaturformat erschaffen wollen

Erneuerbare Energieziele

Während Indien seine Entwicklung weiterverfolgt, liegt der Fokus auch auf dem Übergang weg von der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Im Jahr 2016 trat Indien dem Pariser Abkommen bei und machte ehrgeizige, auf nationaler Ebene festgelegte Zusagen. Hierzu gehört das Erreichen der Kapazität erneuerbarer Energien von 40 Prozent bis 2030, eine Zahl, die viele Experten damals für nicht praktikabel hielten. Indien ist jedoch dabei, dieses Ziel zu erreichen. Der indische Premierminister Narendra Modi gab vor kurzem bekannt, dass Indien bereits erneuerbare Energien mit einer Leistung von 100 GW installiert hat und das einzige Land in der Gruppe der G20-Länder ist, das schnelle Fortschritte beim Erreichen seiner Klimaziele macht: „Heute ist Indien das einzige Land unter den G20-Ländern, das dabei ist, zügig seine Klimaziele zu erreichen. Indien hat sich das Ziel von 450 GW erneuerbaren Energien bis zum Ende des Jahrzehnts – 450 GW bis 2030 – gesetzt. Hiervon hat Indien schneller als geplant bereits 100 GW geschafft“, so PM Modi. Im Rahmen des Pariser Abkommens machte Indien drei quantifizierbare, auf nationaler Ebene festgelegte Zusagen. Hierzu gehören die Senkung der Emissionsintensität des BSP bis 2030 um 33-35 Prozent, vergleichen mit dem Stand von 2005, die Steigerung der gesamten kumulierten Stromerzeugung aus kostenlosen fossilen Energiequellen auf 40 Prozent bis 2030 sowie die Herstellung zusätzlicher Kohlenstoffspeicher von 2,5 auf 3 Milliarden Tonnen durch zusätzliche Wald- und Baumpflanzungen.

Der indische Premierminister Narendra Modi (links) und der französische Präsident Emmanual Macron bei einer gemeinsamen Erklärung am 3. Juni 2017 in Paris. Bei dem Treffen versprach PM Modi, das Pariser Klimaabkommen „zu übertreffen“;

Transparente und proaktive Maßnahmen

Indien erreicht seine bemerkenswerte Zunahme an erneuerbarer Energiekapazität mit einer transparenten investitionsfreundlichen Politik durch private Investitionen in eine wettbewerbsfähige Industriestruktur. Dadurch profitiert es auch in vollem Umfang vom weltweiten Rückgang der Kosten des regenerativen Stroms. Indien verfügt mittlerweile über die weltweit fünfthöchste Solar- und Windenergiekapazität. Laut einem Bericht der IEA „transformiert die rasche Ausweitung der Solarenergie kombiniert mit intelligenter Politik den indischen Elektrizitätssektor und stellt einer wachsenden Anzahl an Haushalten und Unternehmen sauberen, bezahlbaren und zuverlässigen Strom zur Verfügung“.

Indien unterstützt das Wachstum des Markts für Elektrofahrzeuge durch Steuervergünstigungen. Im ganzen Land werden öffentliche Ladestationen installiert. Da diese Fahrzeuge preiswerter sind, was die Kosten pro Kilometer während der Lebensdauer angeht, wird in diesem Jahrzehnt ein rasches Wachstum dieses Markts erwartet. Glücklicherweise hat Indien ausreichend in Stromerzeugungskapazitäten investiert und es gibt ausreichende Kapazitätsreserven, um den Anstieg des Elektrizitätsbedarfs zu decken, der mit der Zunahme der E-Autos einhergehen könnte. Wenngleich Indien nur über begrenzte Kohlenwasserstoffreserven verfügt und daher von Importen abhängig ist, strebt es Energiesicherheit auf traditionellem Wege durch Auslandsinvestitionen sowie durch langfristige Verträge an, insbesondere für Gas.
Indien fördert Investitionen in die Produktion von Solarenergieanlagen sowie in Batterien. Im Rahmen des Production Lined Incentive (PLI)-Programms bietet es Anreize für die Produktion derartiger Anlagen. Indien verfolgt wichtige Initiativen für internationale Partnerschaften, um das gemeinsame Ziel eines schnelleren Übergangs hin zu sauberer Energie und weg von fossilen Brennstoffen zu verfolgen. Es hat die International Solar Alliance gegründet und ist deren Gastgeber. ‚One Sun One World One Grid‘ ist eine wegweisende neue Initiative, die am 15. August 2020 von Premierminister Modi bekanntgegeben wurde. Damit soll grenzüberschreitend die Netzanbindung zum Nutzen aller verbessert werden.

Wasserstoffwirtschaft

Es gibt die Vision von einer neuen Wasserstoffwirtschaft, die den kompletten Übergang weg von fossilen Brennstoffen erleichtern könnte. Wasserstoff kann Indien in ein energiereiches Land transformieren und sogar zu einem Nettoexporteur von Energie machen. Grüner Wasserstoff kann mithilfe von erneuerbaren Energien aus Wasser, das reichlich und kostenlos vorhanden ist, hergestellt werden. Er ist vielseitig, kann gespeichert werden, über lange Distanzen transportiert und für die Stromerzeugung verwendet werden. Autos, LKWs, Busse und Züge können mit Wasserstoffbrennzellen betrieben werden. Im Stahl-, Zement- und anderen energieintensiven Produktionssektoren kann er fossile Brennstoffe ersetzen. Aktuell startet Indien eine Nationale Wasserstoffmission und will damit weltweit an vorderster Front stehen. In seiner diesjährigen Ansprache zum Unabhängigkeitstag gab Premierminister Narendra Modi die Gründung dieser Initiative bekannt. Er umriss die Vision, wie Indien zu einer weltweit führenden, substanziellen Wasserstoffwirtschaft wird. Indien verfolgt das doppelte Ziel des schnellen Wirtschaftswachstums und des Übergangs weg von fossilen Brennstoffen bei zunehmender Energiesicherheit. Wenngleich es Herausforderungen gibt, macht Indien doch schnelle Fortschritte, um dieses Ziel zu erreichen, damit die Welt ihre Klimamaßnahmen an eine inklusive und robuste wirtschaftliche Entwicklung anpassen kann.

Ajay Shankar

Ajay Shankar – Distinguished Fellow am TERI (The Energy Resources Institute). Als pensionierter IAS-Beamter war er unter anderem Vorsitzender des National Productivity Council und des Quality Council of India.
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