Partnerschaft

Indiens Außenpolitik im 21. Jahrhundert

Heft 03, 2019

Indiens Außenpolitik im 21. Jahrhundert

Anil Wadhwa |Autor

Heft 03, 2019


Während sich die Weltordnung ändert, skizziert das Land einen neuen integrativen Kurs in seinen diplomatischen Beziehungen, meint der ehemalige Botschafter Anil Wadhwa

Indiens Außenpolitik im 21. Jahrhundert wird von dem Wunsch nach Schaffung einer förderlichen Umgebung in seiner Nachbarschaft und der Welt bestimmt, wodurch die Wirtschaft wachsen, die Gesellschaft sich entwickeln und die Soft Power gedeihen kann – während dieses Land mit seinen 1,3 Milliarden Menschen seinen rechtmäßigen Platz in der Gemeinschaft der Nationen sucht. Nach fast drei Jahrzehnten der Reformen und der Öffnung gegenüber dem Ausland steht Indien neuen Sicherheitsherausforderungen und Anforderungen gegenüber, was höhere Zuflüsse an Kapital, Technologie, Ideen und Innovationen für einen schnelleren Wandel angeht. Der verstärkte Handel, die Mobilität von Arbeitskräften und die Technologie haben in einer zunehmend verbundenen Welt dafür gesorgt, dass Indien seine Energiequellen sichern, lebenswichtige natürliche Ressourcen für seine Entwicklung erwerben, seine Meereskommunikationswege aufrechterhalten und Handels- und Investitionschancen im Ausland suchen muss, während es sich gegenüber dem Ausland öffnet und in multilateralen Institutionen tätig ist, um eine regelbasierte Ordnung und liberalisierte Handels- und Investitionsregelungen sicherzustellen.

Premierminister Narendra Modi (vorne, Dritter von links) mit anderen Staats- und Regierungschefs auf dem Gipfeltreffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit in Bishkek im Juni 2019

Im letzten Jahrzehnt hat sich die Welt – die Dominanz der einzigen Supermacht – substanziell verändert, die USA stehen einer neuen Machtverteilung im internationalen System gegenüber und China verzeichnet einen Aufstieg und greift die Überlegenheit der USA an. Die neuen Konfliktfelder basieren auf technologischer Überlegenheit und der Fähigkeit zur exponentiellen Weiterentwicklung der Macht der künstlichen Intelligenz, des Internet of Things, des maschinellen Lernens und der Robotik, auch wenn Klimawandel, Lebensmittelunsicherheit und Terrorismus den Fortschritt der Menschheit zu stören drohen.

Indien hat sich immer auf seine unmittelbare Nachbarschaft und Umgebung konzentriert, um ein stabiles Umfeld für sein Wachstum sicherzustellen. Insbesondere Südasien hat einen speziellen Platz in Indiens Außenpolitik. Indien bemüht sich um engere Beziehungen zu Sri Lanka, Bangladesch, Bhutan, Nepal, Myanmar, den Malediven und Pakistan. Indien versucht außerdem, in den Beziehungen zu China ein Gleichgewicht zu bewahren. Auf bilateraler Ebene wurde die Doklam-Pattsituation mit China nach dem Gipfeltreffen der beiden Regierungsführer im letzten Jahr zurückgestellt und der Prozess kooperativer Einigungen mit China wird wohl fortgesetzt.

In den letzten Jahren haben sich die Beziehungen zu den ASEAN (Association of Southeast Asian Nations) gefestigt und man konzentrierte sich auf Konnektivitätsprojekte – in physikalischer, digitaler und kultureller Hinsicht. Indiens Verteidigungsbeziehungen zu Singapur, Vietnam, Malaysia, Indonesien und Philippinen haben sich merklich verbessert. Das Konzept des Indopazifik hat sich gefestigt und die Quad hat sich als informelle Gruppe aus den USA, Japan, Australien und Indien gebildet – ähnlich gesinnte Demokratien, welche die Herrschaft des Rechts, Freiheit bei Navigation und Überflugrechten sowie Frieden und Stabilität in der Region anstreben. Indiens Indopazifik-Konzept stimmt mit dem der ASEAN überein: dass der Indopazifik ein integratives Konzept ist, kein Land wegen den Interessen eines anderen isoliert werden soll, die ASEAN an zentraler Stelle innerhalb des Konzepts stehen und kooperative Vereinbarungen für die Entwicklung und den Wohlstand aller in der Region angestrebt werden. Indiens Beziehungen zu den ASEAN haben sich stetig intensiviert und Indien konnte im Bereich der Maritime Domain Awareness einige Vereinbarungen abschließen. Darüber hinaus bemüht sich Indien derzeit mit den ASEAN, China, Australien, Neuseeland, Japan und Südkorea um den Abschluss einer Regional Comprehensive Economic Cooperation Partnership (RCEP), die dann zu weitreichenden Entwicklungen in der Region führen wird.

Teilnehmer des 21. ASEAN-Indien Senior Officials‘ Meeting (SOM), das im April 2019 in Neu Delhi stattfand

Die indisch-afrikanische Partnerschaft macht sich bereit zu einem Höhenflug, basierend auf den 10 Leitprinzipien, die Premierminister Narendra Modi entworfen hatte. In der erweiterten westlichen Nachbarschaft hat Indien hohe Beteiligungen an Energieversorgungen, dort leben und arbeiten sieben Millionen Menschen in der Diaspora und Handel, Investitionen und Sicherheitsbeziehungen verzeichnen in dieser Region einen Aufschwung. Indien hat ein vitales Interesse an der Stabilität der Region und ist deswegen wachsam in Bezug auf den Konflikt zwischen den USA und Iran, der seine Energiesicherheit und die Konnektivität mit zentralasiatischen Staaten unmittelbar betrifft. Auch über Indiens direkte Nachbarschaft hinaus hat das Land seine Beziehungen erweitert: angefangen mit Zentralasien, wo es nun aktives Mitglied der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) ist und sich um Wirtschaftsabkommen mit der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft bemüht, über Europa, wo es enge Beziehungen zu Ländern wie Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, dem Vereinigten Königreich etc. pflegt, bis hin zu Lateinamerika, wo Handel und Investitionen blühen und die natürlichen Ressourcen zu einem neuen Kooperationsbereich geworden sind. Russland ist weiterhin ein zuverlässiger und langjähriger Verteidigungspartner, aber beide Seiten bemühen sich nach einem Gipfeltreffen zwischen den beiden Regierungschefs im letzten Jahr in Sotschi um neue Wege zur Wiederbelebung der Wirtschaftspartnerschaft. Auch die Beziehungen zu Israel, Südkorea und Australien haben sich intensiviert. Indiens Verhältnis zu den Vereinigten Staaten beruht auf gegenseitigem Austausch. Verteidigung, Wissenschaft und Technologie und zwischenmenschliche Kontakte sowie Handel und Investitionen sind wichtige Stützen dieser Beziehung geworden.

Im multilateralen Bereich strebt Indien einen permanenten Sitz im UN-Sicherheitsrat an, den es wegen seines Beitrags zu friedenserhaltenden Operationen, seiner langjährigen Unterstützung des internationalen Friedens und der Sicherheit und seiner großen Bevölkerung verdient.

Indien ist zu einem Champion geworden, was Klimawandel und saubere Energie angeht und für die internationale Solarallianz an. Es arbeitet mit regionalen Organisationen wie der IORA (Indian Ocean Rim Association) zusammen, um die Blue Economy in der Region weiterzuentwickeln und befürwortet grundsätzlich eine umfassende Konvention zur Terrorismusbekämpfung auf internationaler Ebene. Es hat bei der Reform der Weltordnungspolitik eine Vorreiterrolle eingenommen – sei es in der UN, in internationalen Finanzinstitutionen oder den G20, und ist bereit, den Vorsitz der G20 in 2022 zu übernehmen. Abschließend gesagt, bildet sich Indiens Außenpolitik anhand der innenpolitischen Anforderungen, der Entwicklungsprogramme und dem Wunsch heraus, Technologie und Kapital für seinen wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Fortschritt einzusetzen.

Anil Wadhwa

Anil Wadhwa war indischer Botschafter in Italien, Polen, Oman und Thailand. Als Mitglied des indischen Auswärtigen Dienstes war Wadhwa vom 1. Juli 1979 bis zum 31. Mai 2017 in den indischen Missionen in Hongkong, Peking, Genf, Warschau, Maskat, Bangkok und Rom tätig. Derzeit ist er Senior Fellow und Cluster Leader bei der Vivekananda International Foundation in New Delhi.
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