Indisches Design
Mehrere Studien haben gezeigt, dass individuelle Anpassbarkeit eine wichtige Forderung der indischen Kunden ist, und sogar internationale Unternehmen haben die Notwendigkeit eines ‚Made in India“-Design-Ansatzes erkannt
Als eine der weltweit ältesten Zivilisationen hat Indien eine lange Geschichte kultureller Leistungen und Errungenschaften in der Kunst wie auch in den Wissenschaften zu verzeichnen. Die herausragenden Skulpturen, Bilder und Artefakte in alten Tempelgebäuden sind Wunder der menschlichen Fantasie, Planung und praktischen Ausführung.
Auch in der indischen Literatur sind die Fähigkeiten früherer Zeiten auf Gebieten wie Mathematik, Sprachen, Musiktheorie und Astronomie verzeichnet. So haben beispielsweise die Leistungen Paninis, des großen indischen Sprachwissenschaftlers, der im 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. eine Abhandlung über die Sanskrit-Grammatik schrieb, die moderne Linguistik in aller Welt beeinflusst, wie es u.a. von Johan Frederik Staal oder Frits Staal, einer der modernen Legenden für asiatische Sprachen und Kultur, und von dem amerikanischen Linguisten und Philosophen Noam Chomsky anerkannt wurde.
Es gibt einige weitere Beispiele für die Leistungen im antiken Indien wie Fortschritte in Wissenschaft und Technik, die beispielsweise in Smarangana Sutradhara verzeichnet sind, einer enzyklopädischen Arbeit über klassische indische Architektur, verfasst von dem Paramara-König Bhoja im Jahr 1000 n. Chr. Hierzu gehört ein Kapitel über mechanische Automaten, das sich mit Mechanismen befasst, die menschliche Motorik nachahmen können und die Vorläufer moderner Roboter waren. Die Erfindung der Dampfmaschine und die darauffolgende Industrielle Revolution Europas schienen jedoch die traditionellen technischen Kenntnisse und Handwerke Indiens zu überlagern, und europäische Waren und Entwicklungen beherrschten seitdem den Markt. Wie man heute weiß, fiel Indiens Beitrag zum weltweiten BIP von 24 Prozent im 18. Jahrhundert auf ganze 3 Prozent in 1947. Erst in den letzten Jahrzehnten hat eine wiederbelebte indische Wirtschaft langsam begonnen, ihre Dynamik bei Engineering, Kunst, Handwerk und in vielen neuen Gebieten wieder zu entdecken. Heute werden von indischen Großunternehmen hergestellte Busse, Traktoren, Motorräder und sogar Autos auf großen Märkten in den Schwellenländern in aller Welt vertrieben, insbesondere in Afrika und Ostasien. Artilleriepanzer, Gewehre und sogar Eisenbahnwagen ‚Made in India‘ kommen auf die Weltmärkte und zeigen, wie sehr indisches Design akzeptiert wird.
Swadeshi oder die indische Weltanschauung
Die indische Weltanschauung verschmilzt seit Urzeiten mit den Idealen eines einheitlichen Bewusstseins oder eines grundlegenden Zustands, der allen Phänomenen zugrunde liegt. Selbst heute glaubt die indische Designphilosophie nicht an eine Technologie, die geschlossen, importiert oder von irgendwoher transplantiert wurde. Wir sehen uns nach der Freiheit der Ideen, suchen unsere eigenen Antworten auf globale Herausforderungen, und Swadeshi (Made in India) floriert weiter und wird sogar die Erfindungen der kommenden Generation in Indien antreiben. Daher kann „Make in India“ als ein Ausdruck dieses Wunschs der Inder beschrieben werden, im Zeitalter der Globalisierung autark zu sein.
Swadeshi treibt uns an, unsere Materialien vor Ort zu beschaffen, nach einheimischen Technologien Ausschau zu halten und – ebenfalls wichtig – Probleme von wichtiger nationaler Bedeutung zu lösen. So gehört beispielsweise die Indian Space Research Organisation zu den wenigen in der Welt, deren Hauptfokus darauf liegt, die Weltraumforschung für die Verbesserung des Lebens der Menschen zu verwenden, in Form von Wettervorhersagen, Telekommunikation oder Katastrophenmanagement.
Die Minimalismustheorie
Die indische Designtheorie basiert auf extremem Minimalismus und der Anwendung dessen, was gemeinhin „Jugaad“ genannt wird und im Oxford Dictionary als „flexibler Ansatz zur Problemlösung unter Einsatz begrenzter Ressourcen auf innovative Weise“ definiert wird. Was, einfach ausgedrückt, bedeutet, dass die Vorteile eines Produkts bei minimalen Kosten maximiert werden. Jugaad wird oft als ultimativer indischer Überlebensinstinkt gepriesen, der sich in der indischen Minimalismus-Designtheorie zeigt, unserem Ausdruck für Frugalismus, sogar Brutalismus, bei maximaler Funktion (kostenrationalisierter Vorteil). Dieser Minimalismus zeigt sich in allem – von Khaitan-Lüftern und Tata Nano-Autos bis zu aktuelleren Beispielen wie dem S450 E-Bikes oder dem ferngesteuerten Beluga-Unterwasserfahrzeug der ITT-Madras Start-Ups Ather bzw. Planys. Minimalismus ist auch in den indischen Raumfahrt- und Atomprogrammen zu beobachten. Viele westliche Kommentatoren waren beeindruckt, weil Mangalyaan, die indische Marsmission, weniger kostete als das Budget eines typischen Hollywood-Blockbusters und dennoch beim ersten Versuch erfolgreich war.
Indische Ästhetik
Die indische Ästhetiktheorie unterscheidet sich in einem Punkt radikal von der westlichen Ästhetik: Laut der indischen liegt „die Schönheit im seelischen Zustand“ und es gibt Nava Rasas oder neun anerkannte emotionale Zustände. Gemäß dem indischen Ansatz liegen alle Objekte im Bereich eines einheitlichen Bewusstseins (oder durch Negation im Nichts) – und somit müssen alle Objekte unserem seelischen Zustand entsprechen, und Kreationen müssen nahtlos von innen nach außen fließen. Dies ist der Grund für die überschäumende Verwendung von Farben in Indien. Möglicherweise haben sich moderne indische Produkte von diesem Aspekt gelöst, aber wo die Tradition noch etwas gilt, z.B. bei Stoffen, Kunsthandwerk oder der Tempelkunst, sehen wir die brillante Verwendung von Farben, die zu jedem seelischen Zustand passen und daher jeder Person gefallen können.

Das neue Zeitalter
Die Ideale Swadeshi, Jugaad und Rasa haben den Grundstock für eine indische Design-Revolution gelegt, die die Welt überrollen wird. Die philosophischen Grundlagen von Ghandianismus und Swadeshi haben noch weitere Auswirkungen in Form einer Begeisterung für die Reduzierung von Abfall und die Förderung von Recycling, wobei umweltfreundliche Materialien, Technologien und Prozesse ebenfalls unterstützt werden. Oft stellt man fest, dass der indische Kunde Benutzerfreundlichkeit und Langlebigkeit der Produkte schätzt, aber sich auch eine maximale Rendite für eine getätigte Investition wünscht.