Indien in Osaka: Stark und ausgewogen
Von digitalem Handel und Anti-Korruptionsbestimmungen bis zu Umweltpolitik und wirtschaftlichem Fortschritt: Indien nahm beim G20-Gipfel in Osaka eine starke Haltung ein. Die ehemalige Botschafterin Bhaswati Mukherjee beleuchtet einige zentrale Punkte
Die G20, zu denen alle großen Volkswirtschaften gehören, waren als internationaler Mechanismus für die Steuerung der Weltwirtschaft gedacht und haben sich im Lauf der Zeit zu einer der mächtigsten Wirtschafts- und Finanzgruppen entwickelt. Sie waren ehemals als „Gipfeltreffen zu Finanzmärkten und Weltwirtschaft“ bekannt, repräsentieren mehr als 80 Prozent des weltweiten BIP und unternehmen fortwährende Anstrengungen, um ein robustes Weltwirtschaftswachstum zu erreichen. Auf dem jüngsten Gipfel hat sich durch die Aufnahme vielfältiger globaler Probleme wie Klimawandel und Energie, Gesundheit, Terrorismusbekämpfung und Migration der Fokus verlagert.

Perfektes Gleichgewicht
Der G20-Gipfel am 28. und 29. Juni 2019 in Osaka, Japan, war der erste, den Japan unter Premierminister Shinzo Abe veranstaltete. Acht Themen standen zur Diskussion an: „Weltwirtschaft“, „Handel und Investitionen“, „Innovation“, „Umwelt und Energie“, „Beschäftigung“, „Stärkung der Frauen“, „Entwicklung“ und „Gesundheit“. Der Gipfel war zwar vom Handelsstreit zwischen den USA und China überschattet, stellte für Indien jedoch einen großen diplomatischen Erfolg dar. Premierminister Narendra Modi nahm eine starke Haltung ein, sei es im Hinblick auf den Widerstand gegen den Druck der USA und gegen Veränderungen im digitalen Handel, die von mehr als 50 Nationen unterstützt werden, oder sei es bei der Betonung des Problems der Korruption. Ebenfalls bemerkenswert war seine perfekte Gewichtung in bilateralen Begegnungen mit den Führern der großen Supermächte. PM Modi traf am Rande des Gipfels mehrfach weltweite Führungspersönlichkeiten, einzeln und in der Gruppe. Es fanden Treffen mit den Präsidenten Chinas und Russlands sowie mit US-Präsident Donald Trump und dem japanischen Premierminister Shinzo Abe statt.
Indiens Fokus
Indiens Perspektiven in Bezug auf die G20 wurden in einer Pressekonferenz nach dem Gipfel durch Indiens „Sherpa“, den damaligen Handelsminister Suresh Prabhu, erläutert. Ein „Sherpa“ ist ein persönlicher Vertreter eines Staatsoberhaupts, der diesem auf internationalem Parkett den Weg ebnet. Zu den indischen Anliegen zählen die Bedeutung einer Qualitätsinfrastruktur und im weltweiten Finanzsystem ein Bekenntnis zur Anwendung der kürzlich ergänzten Financial Action Task Force (FATF)-Standards für virtuelles Vermögen. Die Korruptionsbekämpfungsmaßnahmen auf globaler Ebene wurden unterstrichen. Was den Klimawandel angeht, verfolgt Indien eine Strategie der Reduzierung wie auch der Anpassung. Ausführlich diskutiert wurde über Migration, die eine menschliche Herausforderung darstellt. Schlussendlich beschrieb PM Modi die Rolle der neuen Innovationen in Indien („Sabka Saath, Sabka Vikaas“), mit deren Hilfe Veränderungen in Indien so umgesetzt werden sollen, dass sie allen nützen. Das Osaka-Kommuniqué greift diese Anliegen weitgehend auf, einschließlich dem schwierigen Thema Klimawandelt. In die Erklärung von Osaka wurde ein zusätzlicher Absatz aufgenommen, um die USA zu integrieren. Hier heißt es unter anderem: „Die Vereinigten Staaten bekräftigen ihre Entscheidung, sich aus dem Pariser Abkommen zurückzuziehen, weil es amerikanische Arbeiter und Steuerzahler benachteiligt.“

Pattsituation beim digitalen Handel
Ein weiteres strittiges Thema war die Initiative Japans, allen G20-Ländern einen „Friss-oder-stirb“-Text zu digitalem Handel vorzulegen, in dem um Zustimmung zu dem ‚Osaka Track‘ für die Förderung plurilateraler Verhandlungen zwischen 50 Ländern zu digitalem Handel gebeten wird. Die Absicht war unter anderem, feste Regeln einzuführen, um die Entfernung von Datenströmen zu erleichtern und die Entfernung der Verbote für Datenlokalisierung und Cloud-Computing. Diese Verhandlungen zum digitalen Handel wurden niemals von der Welthandelsorganisation (WTO) gebilligt. Indien boykottierte gemeinsam mit Südafrika und Indonesien den Osaka Track. Diese Schwellenländer hatten den Eindruck, dass der Osaka Track die zentralen WTO-Prinzipien für das Erreichen einer konsensbasierten Entscheidung unterminieren würde. Stattdessen schlugen Indien und Südafrika einen Kompromisstext vor. Die G20-Führer einigten sich auf eine Erklärung zu „Innovation: Digitalisierung, vertrauensvoller freier Datenverkehr“. Dadurch war sichergestellt, dass die G20 dem Wunsch Indiens und Südafrikas für das „Erreichen einer integrativen, nachhaltigen, sicheren, vertrauensvollen und innovativen Gesellschaft durch Digitalisierung und Förderung der Anwendung digitaler Technologien“ Rechnung tragen würden. Indien und eine große Mehrheit der Entwicklungsländer bestanden auf einem Zusatz zu „entscheidende Aufgabe, die durch die effektive Datennutzung erfüllt wird, da diese Wirtschaftswachstum, Entwicklung und sozialen Wohlstand ermöglicht“. Die Entwicklungsländer drückten ihre Befürchtung aus, dass sie durch die vorgeschlagene plurilaterale Vereinbarung zu digitalem Handel keinen „politischen Spielraum“ mehr für ihre digitale Industrialisierung haben. Die starke Haltung Indiens und anderer Entwicklungsländer sorgte dafür, dass es in der genehmigten Schlusserklärung des Gipfels hieß: „Wir bekräftigen unsere Unterstützung für die notwendige Reform der WTO, um deren Funktionen zu verbessern“.

Die 5G-Herausforderung
Ein weiteres Thema, das im Fokus stand, war die 5G-Technologie, vor dem Hintergrund der Forderung der USA, dass die Länder das 5G-Netzwerk des chinesischen Telekommunikationsriesen Huawei blockieren sollten. In der offiziellen Presseerklärung hieß es, dass Indien und die USA „Indiens Kapazitäten in der technologischen Entwicklung für Start-Ups, Design und Silicon Valley sowie seine Rolle bei der Entwicklung der 5G-Technologie zum gegenseitigen Nutzen“ einsetzen wollen. Nach einem bilateralen Gespräch zwischen Präsident Trump und Xi Jinping schien in Bezug auf einen drohenden Handelskrieg zwischen den USA und China sowie die Lockerung der Sperre für Huawei ein Durchbruch erreicht worden zu sein. Ob es zu einer endgültigen Vereinbarung zwischen den USA und China kommt, wird sich bis zum nächsten G20-Gipfel zeigen. Unterdessen fand am Rande des Gipfels ein kurzes Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und PM Modi statt. Die Erklärung des indischen Außenstaatssekretärs Vijay Gokhale nach dem Treffen vermittelte den Eindruck, dass der indische Premierminister bei seiner Haltung blieb. Indien gab der Trump-Regierung keine Zusagen für einen Ausschluss von Huawei bei der Entwicklung von 5G im Land. Indien erklärte, seine Entscheidung würde im Interesse der Wirtschaft und Sicherheit des Landes gefällt. Die indische Delegation regte mit den Worten „der Kampf gegen Korruption sollte auf allen Ebenen von allen G20-Ländern geführt werden, indem diese bekämpft und sichergestellt wird, dass jedes G20-Land über eine geeignete Gesetzgebung verfügt“ zu einem Vorgehen gegen Korruption an. Somit haben Indiens Bedenken auf allen wichtigen Themenfeldern in der Erklärung von Osaka ihren Niederschlag gefunden. Dies zeigt, dass Indiens neue energiegeladene Diplomatie zu einem weiter wachsenden globalen Fußabdruck des Landes führt. Dieser in Osaka offensichtlich gewordene Übergang ist nicht nur Ausdruck von Indiens größerem Selbstbewusstsein, sondern auch von dem Ehrgeiz getrieben, die Regeln zu bestimmen und nicht nur einzuhalten. Indiens neues Selbstvertrauen in Form von einer festen Haltung bei internationalen Fragen hatte sich erstmals beim G20-Gipfel 2019 in Buenos Aires, Argentinien, gezeigt und in diesem Jahr bestätigt. Der G20-Gipfel in 2022, dessen Gastgeber Indien sein wird, wird diesen Übergang vollenden und Indiens Auftreten als wichtige globale Macht festigen.