Tanz quer durch die Zeitalter
Für den malaysischen Tanz-Maestro Ramli Ibrahim ist Tanz ein evolutionärer Vorgang. Der Padma Shri-Preisträger ist in zeitgenössischen Tanzformen wie Ballett ausgebildet, und seine modernen Interpretationen klassischer indischer Tanzformen sind das perfekte Beispiel für die Modernität der Traditionen
Traditionen sollten studiert, praktiziert und durch relevante Adaptationen und Bereicherungen bewahrt werden. Insbesondere in Indien, wo man sich auf ganze Schichten aus Traditionen, Gebräuchen und Kunstformen berufen kann, wenn es nötig ist. Ein Grund, weshalb Künstler und Denker aus aller Welt durch traditionelle indische Praktiken inspiriert wurden und diese angenommen haben. Auf der weltweiten Bühne wird Indiens kultureller Reichtum oft mit sich ständig weiterentwickelnden Traditionen und einem künstlerischen Erbe in Verbindung gebracht, das mit der Zeit gewachsen ist.
Die Modernisiererinnen von einst



Ein Beispiel hierfür ist der Malaysier Datuk Ramli Ibrahim, der in 2018 den Padma Shri für seine Leistungen in Odissi erhielt, ein Darstellungs-Genre, bei dem Darsteller und Musiker eine mythische Geschichte aus alten indischen Texten nachspielen. Ibrahim ist leidenschaftlicher Odissi-Darsteller und Choreograph und hat in den letzten drei Jahrzehnten die Grenzen der Tanzform immer weiter verschoben, indem er mit Produktionen experimentierte und moderne Empfindungen integrierte, um das heutige moderne Publikum anzusprechen. Er ist auch in Ballett ausgebildet und seine modernen Interpretationen haben dazu beigetragen, dass Odissi heute, weltweit betrachtet, relevanter geworden ist.

Ibrahim erklärt: „Meine Tanzkarriere begann als Student mit Ballett. Ich studierte Ingenieurswesen in Australien, als ich die Kraft der Bewegung entdeckte und dies als mein Schicksal annahm. Ich trat der Sydney Dance Company bei. Aber ich interessierte mich auch sehr für asiatische Kulturen, ihre Geschichte und Mythologie. Dies führte mich nach Indien mit seinen Traditionen“.
Als Teil einer großen Ballett-Truppe konnte Ibrahim jedoch seine Kreativität nicht ausleben und so studierte er Bharatanatyam bei dem bekannten Lehrer Adyar K. Lakshman. „Die Einblicke sowohl in das Ballett wie auch den westlichen modernen Tanz hatten großen Einfluss und leiteten mich. Gleichzeitig wuchs auch meine Wertschätzung der westlichen modernen und klassischen Musik, und ich hatte mit Philosophie, Mythen und Theaterformen als lebendige moderne künstlerische Ausdrucksform zu tun.“

Ibrahim suchte jedoch weiter und entdeckte schließlich seine Leidenschaft für Odissi. „Ich wusste, dass das Erlernen und die Darstellung klassischer indischer Formen schwierig sein kann und lebenslanges Engagement erfordert. Für mich war es noch schwieriger, weil ich nicht aus Indien kam“, erklärt er.
“Ich habe immer den Eindruck, dass die moderne Kunst die Zukunft repräsentiert und die zeitgenössischen darstellenden Künste Teil des natürlichen Prozesses sind. Dies ist als Aufgabe der Weiterentwicklung der Tanzform zu sehen.”
Ramli Ibrahim
Künstlerischer Leiter, Sutra Foundation
Ibrahim beschloss, dem legendären Odissi-Guru Deba Prasad Das zu folgen, der Odissi zu weltweiter Bekanntheit verholfen hat. „Wir wussten nicht, dass wir Geschichte schrieben. Wir taten nur das, was wir am meisten liebten. Wir ließen uns von den Ereignissen mittragen, die uns zu unseren vorherbestimmten Orten brachten. Ich denke, wir machten einfach das, was wir leidenschaftlich gerne machen wollten“, meint Ibrahim.

Aufgrund seines Ballett-Hintergrundes konnte der malaysische Künstler seinen Interpretationen einen kreativen Schliff verpassen. „Viele ‚traditionelle‘ Künstler und Tanzregisseure betrachten sich als ‚simultan‘ mit ihrer Umgebung. Sie denken, sie schaffen Werke, die in ihrem Milieu modern sind. Die Erfinderinnen des klassischen indischen Tanzes wie Rukmini Devi, Mrinalini Sarabhai und Kumudini Lakhia waren Modernisiererinnen, die im Rahmen der Traditionen arbeiteten und zur positiven Weiterentwicklung der Tradition beitrugen. Ich bin in dieser Hinsicht auch ein Modernisierer, insbesondere in meinem Ansatz bei der Präsentation meiner traditionellen Werke.“
Die zeitliche Entwicklung
Sutra Foundation
In 1983 gründete Ibrahim das Sutra Dance Theatre. Er ließ es in Kuala Lumpur, Malaysia, zurück, und zog mit der Erkenntnis weiter, dass sich die Traditionen in aller Welt schnell weiterentwickeln und dass ein Zentrum der darstellenden Künste mit der aufkeimenden Kreativität verknüpft sein muss, die es nicht nur in Indien, sondern auch in anderen Tanzzentren gibt.
Ein Leben voller Tanz
In 2018 wurden Ramlis Bemühungen international wahrgenommen und er erhielt die höchste zivile Auszeichnung Indiens, den Padma Shri – zusätzlich zur wachsenden Zahl internationaler Preise. Indiens wichtigste Institution für darstellende Künste, die Sangeet Natak Akadmi, erkannte Ibrahims Anstrengungen und seinen Beitrag für Odissi ebenfalls an, der wesentlich für die Transformation der Tanzlandschaft in beiden Ländern war.

Zum Vergleich der klassischen Tanzformen aus Malaysia und Indien und deren Weiterentwicklung meint Ibrahim: „Sowohl Malaysia wie auch Indien definieren ihre moderne Tanzidentität neu, die durch ihre asiatische Perspektive anstatt durch westliche Quellen inspiriert ist. Auch der traditionelle indische Tanz entwickelt sich in kreativer Hinsicht enorm weiter. Er wird heute als Beispiel herangezogen, wie traditionelle Tänze in der modernen Gesellschaft aufblühen können.“
Der Tänzer kombiniert die Odissi-Sensibilität weiter mit seinem modernen Präsentationsstil und konzipiert Tanzproduktionen für ein weltweites Publikum. Wir fragen ihn nach der Quelle für seine andauernde Motivation. Mit dem allgegenwärtigen Zwinkern in den Augen und seinem souveränen Charme erläutert uns der 66-jährige Künstler: „Ich denke, ich kann es nicht genau benennen; es ist eine Kraft, die stärker ist als ich, die mich vorantreibt. Das Gebot der Stunde und die Bedürfnisse der anderen obsiegen immer. Ich habe jedoch erkannt, dass ich umso mehr Belohnungen vom Leben erhalte, je mehr ich gebe. Meine Tasse läuft sozusagen immer über“.

In der heutigen Zeit, mit Künstlern, die im ganzen Land die bewusste Entscheidung für traditionelle Kunstformen treffen, ist es sehr wahrscheinlich, dass Tanz als Kunstform weiterentwickelt und propagiert wird. Jeder neue Tänzer bringt neue Innovationen für die Kunstform, beispielsweise Fusionen verschiedener Tanzstile oder Experimente, ohne die traditionellen Muster und die uralten Werte zu beschädigen, die mit der jeweiligen Tanzform verbunden sind.