Kino Erbe

Botschafter der Kultur und Kunst

Heft 02, 2020

Botschafter der Kultur und Kunst

Sudha Murty |Autor

Heft 02, 2020


Die indische Kultur ist eine der prägnantesten für Reisende aus aller Welt. Die Autorin und Philanthropin Sudha Murty beschreibt ihre Sicht auf die zahlreichen besonderen Eigenheiten des Landes, die es vereinfachen, grenzüberschreitende Freundschaften zu knüpfen

Häufig recherchieren Touristen über ein Ziel vor Beginn der Reise. Der Reisende kann dann nicht nur die Reise besser planen, sondern erkundet den Ort auch schon und entdeckt neue Plätze auf intensivere Weise. In meinem Fall führt die historische Bedeutung eines Orts oft zu der Entscheidung, dorthin zu reisen. Vor einigen Jahren lernte ich beispielsweise Kannada als Hobby, das ursprünglich im achten und neunten Jahrhundert gesprochen wurde, und reiste daraufhin ausführlich durch die südlichen Teile Indiens. Genauso lege ich Wert darauf, wenn ich die Möglichkeit zu Auslandsreisen habe, das Land zu verstehen und nachzuforschen, weswegen es so beliebt ist. Dieser Maxime folgend konnte ich an einige Orte reisen, die unter Indern nicht sehr bekannt sind. Die Recherchen, die ich anstelle, die Kontakte, über die ich mich freue, und die Informationen, die ich austauschen kann, stellen den Rahmen für zwischenmenschliche Beziehungen dar, die letztendlich die Nationen näher zusammenbringen.

Ein Beispiel hierfür ist die jüngste Reise, die ich auf den Spuren von Jesus Christus nach Israel machte. Mein Ziel war es, nicht nur die Naturschönheit des Landes zu entdecken, sondern auch über die Ereignisse Bescheid zu wissen, die sich abspielten, als Jesus selbst durch diese Gebiete reiste. Ich meldete mich für einen dreimonatigen Bibelkurs an, damit ich wenigstens die Geschichte und Kultur des Landes verstehen konnte.

Lebhafte Farben und die typische Dekoration schmücken die Fassade eines indischen Modegeschäfts in London

Die indische Mythologie, religiöse Ideen und Philosophien sind zwar international anerkannt, was mich jedoch angenehm überraschte, ist die globale Beliebtheit der modernen indischen Kultur, selbst in den entlegensten Teilen der Welt und quer durch die Altersgruppen. Eine Schule für klassische indische Musik und Tanz in Europa, ein Fitnessstudio voller Amerikaner, die in New York Sport zu den Bhangra-Beats machen, Yoga, das von Tokio bis Toronto praktiziert wird, indische Restaurants in London und die globale Reichweite von Hindi-Filmen – überall, wohin ich reiste, waren das Kulturerbe meines Landes und mein Indisch-Sein mein kultureller Ausweis!

Die Reaktion der jeweiligen einheimischen Bevölkerung auf meine indischen Wurzeln hat mich zu einem besseren Menschen gemacht. Wenn man die wunderschönen alten Moscheen im Iran oder die großartigen Tempel der Hindu-Gottheiten in Kambodscha sieht, erkennt man ihre Ebenbürtigkeit – oder sie sind vielleicht sogar noch schöner als die einheimischen. Aber diese Erkenntnis führt nicht zu einem Gefühl der Unterlegenheit, sondern öffnet die Augen für verschiedene Möglichkeiten. Das Tragen eines Saris oder einer Khadi Kurta kann für ein sofortiges Gefühl der Beruhigung bei dem Gegenüber sorgen und ist Beweis für unsere Bescheidenheit.

In diesem Zusammenhang spielt Bollywood eine wichtige Rolle bei der Verbreitung unserer charmanten kulturellen Feinheiten bis in die entlegensten Winkel der Welt. Ich erinnere mich, wie ich während meiner Reise durch den Iran einen Ladenbesitzer nach frischem Naan (dickes, fluffiges, Pita-ähnliches Fladenbrot) fragte. Als mir der Ladenbesitzer das Brot gab, sah er auf meinen Sari und meinte „Amitabh Bachchan?“. Als meine Reaktion seinen Enthusiasmus nicht widerspiegelte, fragte er weiter „Salman Khan? Shah Rukh Khan?“. Nachdem ich die Namen berühmter Hindi-Filmschauspieler gehört hatte, verstand ich, was er sagen wollte. „Ja, ich komme aus demselben Land wie sie“, antwortete ich. Er lächelte und meinte: „Nichts bezahlen“. Auch als ich darauf bestand, weigerte er sich. In gebrochenem Englisch erklärte er mir: „Indien. Bollywood. Sehr schön. Guter Tanz. Gute Kleidung. Gute Musik. Wie in Iran!“. Ich konnte nicht anders als zu lächeln.

Autorin Sudha Murty

Meine Reisen führten mich auch nach Bukhara, einer Stadt in Usbekistan. Als ich zu einem Abendspaziergang aufbrach, hörte ich leise die vertrauten Klänge eines Bollywood-Songs. Nach wenigen Minuten landete ich in einem Restaurant an einem See – Lyabi House. „Ich komme aus Indien und dieses Lied stammt aus meinem Land“, erklärte ich dem Sänger in einer Pause. „Hindustan?“ fragte er. Ich nickte. „Namaste!“ begrüßte er mich lächelnd und wippte heftig mit dem Kopf, wie zur Bestätigung dieser neu entdeckten Verbindung zwischen uns.

Bollywood kann andererseits aber auch als Indiens beliebtester Kulturbotschafter gelten. In Interlaken in der Schweiz steht eine Statue des berühmten verstorbenen Regisseurs Yash Chopra, und am Fuße des Titlis, eines Berges der Urner Alpen, hängt ein Poster der Schauspieler Shah Rukh Khan und Kajol. Dies sind nicht nur Beispiele für beliebte Kinofilme, sondern für die Beliebtheit einer ganzen Kultur – für die Idee hinter den Filmen aus Indien, die Stories aus dem Land und die alltäglichen Geschichten seiner Bevölkerung.
Spuren der indischen Kultur finden sich in der ganzen Welt. Ich denke, dass wir auf jeder Reise auch selbst ein Botschafter Indiens sind, der die Traditionen, Philosophie und Seele des Landes weitergibt.

Sudha Murty

Sudha Murty ist eine indische Sozialarbeiterin und Bestseller-Autorin. Die Padma-Shri-Preisträgerin ist wegen ihrer philanthropischen Arbeit in der Infosys Foundation bekannt. Sie ist außerdem Mitglied der Initiativen für öffentliche Gesundheitsvorsorge der Gates Foundation.
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