Reise

Eine grüne Utopie

Heft 01, 2020

Eine grüne Utopie

Saurabh Narang |Autor

Heft 01, 2020


In Auroville, einer international ausgerichteten Kleinstadt in Südindien, praktizieren die Einwohner schon seit Jahren einen nachhaltigen Lebensstil. So könnte eine Lösung für die weltweite Klimakrise aussehen

Sie bauen ihre eigenen Lebensmittel an. Ihre Geräte werden mit Solarenergie betrieben. Der Abfall, den sie produzieren, wird recycelt. In dieser internationalen Gemeinschaft von Menschen aus 50 verschiedenen Nationen leben sie in kompletter Harmonie mit der Umwelt und miteinander. Für Touristen erscheint Auroville – die Stadt der Morgendämmerung – wie ein utopisches Ziel, in dem die Menschen einen nachhaltigen Lebensstil praktizieren und ein ehemals verlassenes Stück Land zwischen dem Unionsterritorium Puducherry und dem Bundesstaat Tamil Nadu wieder zum Leben erwecken. Die Lehre, nach der gelebt wird, ist inspiriert von dem Freiheitskämpfer und Philosophen Sri Aurobindo und der Mutter und dreht sich um das Konzept des inneren Bewusstseins durch die Einheit von Geist, Körper und Natur. Infolgedessen herrscht ein sehr ausgeprägtes soziales Bewusstsein in der gesamten Gemeinschaft für einen nachhaltigen und grünen Lebensstil.

In Auroville gibt es zwei Arten von Bewohnern: ständige und temporäre. Man kann hier entweder eine eintägige geführte Tour machen oder sich einer der zahlreichen Gruppen anschließen und bei der alltäglichen Arbeit in der Gemeinde teilnehmen. Ich habe 32 Tage lang als Freiwilliger auf der Solitude Farm in einer solchen Gruppe gearbeitet.

Ein Bewohner bei der Ernte, bei der alle Freiwilligen zusammenarbeiten, um frisches Gemüse für die Küche zu besorgen

DIE SOLITUDE FARM

In den ersten Stunden nach meiner Ankunft auf der Solitude Farm wurde ich mit Fragen bombardiert: „Woher stammt dein Essen? Weißt du, wer es angebaut hat und ob dafür Chemikalien verwendet wurden? Weißt du, wie deine Lebensmittel transportiert und gelagert werden?“ Die Fragen wurden mir von einem Herrn gestellt, der in einen Wickelrock gekleidet war und ein Tuch um seinen Kopf trug, ähnlich wie die Bauern im indischen Hinterland es tragen. Er heißt Krishna Mckenzie, stammt ursprünglich aus England und lebt jetzt in Auroville, wo er die Solitude Farm gründete, ein biologisches Anbauprogramm in Auroville. Mckenzie erzählte mir, dass er im Alter von 19 von Großbritannien nach Auroville zog, um ein einfaches Leben zu führen, inspiriert von der Lehre, die er in der Schule namens Brockwood Park gelernt hatte, welche von dem indischen Philosophen und Lehrer J. Krishnamurti gegründet worden war. „Ich war stark von der Philosophie von Masanobu Fukuoka beeinflusst, einem japanischen Zen-Meister und Bauern, der als Fürsprecher des natürlichen Landbaus berühmt geworden ist. Fukuoka glaubt an den Tue-Nichts-Anbau, was bedeutet, dass die Natur bereits perfekt ist und man nichts mehr tun kann, um sie zu verbessern“, so Mckenzie.

Nach 25 Jahren in Auroville ist Mckenzie (obwohl er die Anrede Krishna bevorzugt) heute als Gründer der mehr als zwei Hektar großen Solitude Farm bekannt. Er spricht fließend tamilisch und erzählte mir von seiner tamilischen Frau und den beiden Kindern und wie sie das Konzept des nachhaltigen Anbaus auf der Farm annehmen.

DER ARBEITSALLTAG

Die Arbeit für die Freiwilligen beginnt täglich gegen 8 Uhr und dauert bis ungefähr 12 Uhr. Ich habe alle zwei Tage vier Stunden lang als Freiwilliger gearbeitet. Die freiwilligen Helfer können in der Landwirtschaft, in dem angeschlossenen Café oder im Innenbereich arbeiten, je nach persönlichen Fähigkeiten und Interessen. Die Wochenenden sind frei! Den freiwilligen Helfern wird beigebracht zu säen, Unkraut zu jäten, die Pflanzen zu wässern und das Gemüse für die Mahlzeiten zu ernten. Zu den Aktivitäten zählen außerdem die Kompostherstellung oder die Hilfe beim Verpacken der landwirtschaftlichen Erzeugnisse für den Markt. Außerdem können administrative Aufgaben im Haus erledigt werden. Ich entschied mich für die Arbeit in der Landwirtschaft.

Krishna, der aus Großbritannien nach Auroville zog, ist der Gründer der 2 Hektar großen Solitude Farm

SEIFENHERSTELLUNG

An einem Tag nahm Mckenzie uns mit zur Seifenherstellung, um uns zu zeigen, wie die biologisch abbaubare flüssige Mehrzweckseife, die auf der Farm verwendet wird, produziert wird. „Wir mischen drei Teile Zitronenschale, einen Teil Palmzucker und 10 Teile Wasser, rühren diese Mischung einmal am Tag um und lagern sie in einem geschlossenen Behälter. Wir lassen sie zwei Wochen lang fermentieren. Anschließend geben wir dieselbe Menge Waschnusswasser (10 Teile) hinzu. Nach und nach wird der Inhalt des Behälters seifig und kann zum Geschirrspülen, Wäsche waschen und sogar zum Baden verwendet werden“, erklärte er uns während der Vorführung des Prozesses. Nach dem Arbeitsende spazierte ich regelmäßig durch Auroville, traf Bewohner und fotografierte sie. Bei einer dieser Gelegenheiten wurde ich zu einer Sitzung zu gesunden Heilverfahren eingeladen.

Ein Freiwilliger säubert Erdnüsse, um das Küchenpersonal zu unterstützen Eine Gruppe Kinder bei der Herstellung von natürlicher Seife während eines Workshops auf der Solitude Farm

VERLANGSAMUNG

Vor meiner Ankunft in Auroville hatte ich Bedenken. Aber innerhalb weniger Tage hatte ich mich an den alternativen Lebensstil gewöhnt. Sei es die Unterstützung der Bewohner bei einer Aufforstungsfahrt auf einem nahegelegenen Grundstück namens Sadhna-Wald oder das Fotografieren während ihrer täglichen Aufgaben: meine Zeit in Auroville war eine der bereicherndsten Erfahrungen meines Lebens. Ich befolge interessanterweise immer noch die Grundsätze des nachhaltigen Lebensstils, die ich in Auroville verinnerlicht habe. In meinem Alltag als Städter prüfe ich regelmäßig meinen CO2-Fußabdruck: ich nutze öffentliche Verkehrsmittel, vermeide Plastik und wasche meine Kleidung von Hand – ich achte sehr darauf, meine Abhängigkeit von der Automatisierung zu reduzieren. Vielleicht liegt in dieser abgelegenen Ecke Indiens die Lösung für das Problem des gesamten Planeten!

Saurabh Narang

Saurabh ist ein ausgezeichneter Fotograf und Kreativberater. Im Lauf der Jahre hat er mit Fortune 500-Unternehmern, Filmemachern und bekannten NGOs in verschiedenen Teilen der Welt zusammengearbeitet. Seine Bilder wurden schon in aller Welt veröffentlicht und gezeigt.
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